Amazon ist Schuld! Der Onlinehandel ist Schuld! Die Kunden sind Schuld und wollen nur billig! Für viele ist die Schuldfrage schnell geklärt. Das Problem dabei ist, dass die Schwierigkeiten im Einzelhandel eine Folge von vielschichtigen und unterschiedlichen Entwicklungen sind. Lässt man sich nun von einfachen Schuldzuweisungen und Lösungen leiten, wird es schwer, richtige und wirksame Lösungen zu finden.
Der Handel muss verstehen, was sich verändert hat, um angemessen auf die aktuellen Herausforderungen zu reagieren. Das gilt für den städtischen, kleinen, inhabergeführten Einzelhandel genauso wie für die großen Einzelhändler und Filialisten.
Die wirtschaftliche Perspektive
Die aktuellen Entwicklungen sind im Grunde Ergebnis der Veränderungen in der Art wie wir heute Waren und Produkte herstellen und an den Kunden bringen. Mit der industriellen Revolution war es möglich, große Mengen an Produkten zu sehr viel geringeren Kosten als zuvor zu produzieren.
Der Großhandel und Markenunternehmen schufen mit ihren Marken Vertrauen in diese Produkte, betrieben viel Marketing und verkauften die Produkte – eventuell über weitere Zwischenhändler – an den Einzelhandel.
Dieser brauchte Räume um all diese Produkte unterzubringen und sie zu präsentieren. Der Kunden konnte sie dann dort abholen.
Dieses System war ineffizient. Ein Produkt, welches für 10 Euro in der Fabrik herstellbar ist, ging dann an den Zwischenhandel. Dieser betrieb Marketing, baute mit Marken Vertrauen in die Produkte auf und verkaufte es dann mit einer eigenen Verkaufsmannschaft für 30 Euro an den Einzelhandel. Dieser bringt es in seine Geschäfte und verkauft es dort für 90 Euro an den Kunden, um seine Kosten für Ladenfläche, Verkäufer, weitere Werbung etc. zu decken.
Veränderungen in der Lieferkette
Dieses System hat sich überholt. Es produzierte hohe Kosten und ist für den Kunden noch nicht einmal bequem. Der Kunde muss in den Laden gehen, aus einem begrenzten Angebot wählen, die Produkte selbst transportieren und seine Zeit einsetzen, um die Produkte abzuholen. Kunden hatten die Wahl zwischen 2 oder 3 Geschäften bei ihnen im Wohnort und waren abhängig von dieser Lieferkette. Das Internet war damals lange nicht gut genug um hier einzuwirken und der Zugang noch nicht tauglich für Jedermann.
Die technologische Entwicklung hat fast alles in dieser Lieferkette verändert. Einen ersten Anlauf gab es in den 2000er Jahren, der dann mit der Dot-Com-Blase zunächst wieder zusammenbrach. Aber dann wurde das Internet besser und die Entwicklung des Smartphones und der sozialen Medien hat die eCommerce-Revolution dann enorm beschleunigt.
Mit der technischen Entwicklung entstanden Technologieunternehmen, die Marktplätze betreiben und die zum klassischen Handel in Konkurrenz traten. Sie hatten eine andere Kultur und reagieren schneller auf Trends und Bedarfe. Über die Technologie sammeln sie jede Menge Daten über ihre Kunden, die es ihnen ermöglichen, ihre Produkte viel persönlicher zu vermarkten.
Hersteller begannen ihre Produkte online direkt an den Konsumenten verkaufen. Da der Zwischenhandel ausgeschaltet war, konnten sie das nun viel günstiger tun. Die sozialen Netze ermöglichte es den Herstellern mit ihren Kunden direkt in Kontakt zu treten und zu interagieren. Kunden generieren dort eigene Inhalte und erledigen damit das Marketing gleich mit.
Heute eröffnen solche Hersteller oder die Technologieunternehmen, die Online-Marktplätze betreiben, eigene physische Läden in guten und stark frequentierten Lagen. Sie nutzen diese Läden um Kunden zu werben, ihnen ihre Produkte zu zeigen, sie anfassen und ausprobieren zu lassen und eine gute Beratung anzubieten. Die Waren werden dann auf dem Versandweg direkt nach Hause geliefert.
Was muss der Einzelhandel tun?
Für den klassischen lokalen Einzelhandel heißt das, sich anpassen zu müssen. Darauf zu hoffen, dass die guten alten Zeiten wiederkehren ist unrealistisch. Und mit den großen Onlineplattformen um den Preis zu konkurrieren ebenfalls. Amazon und neue Konkurrenten sind nicht Schuld, sie haben nur die neuen Zeiten genutzt – vielleicht besser genutzt.
Die kürzer gewordenen Lieferketten haben dafür gesorgt, dass der Einzelhandel heute anders funktioniert wie noch vor wenigen Jahrzehnten. Es gilt vor allem, sich wieder viel stärker mit dem Kunden auseinander zu setzen: mit dessen Bedarf, mit dessen Wünschen und mit dessen Kaufmotiven. Als Ladengeschäft wird man nur schwerlich beim Preis mit dem Onlinehandel konkurrieren können – zu hoch ist die eigene Kostenbasis. Auch bei der Bequemlichkeit punkten die Onliner. Wenn es um effizientes und schnelles Einkaufen geht, ist der Kunde in vielen Fällen online besser dran.
Aber wenn es um Kundebedürfnisse geht wie Innovation, Inspiration, Beratung, Exklusivität, sofortige Verfügbarkeit, Erlebnis beim Einkauf, Gemütlichkeit, Einkaufsatmosphäre – dann ist der Kunde Offline besser aufgehoben. Es gibt also gute und vielversprechende Möglichkeiten, durch eine kluge Positionierung im Wettbewerb zu bestehen. Und man muss vermeiden, mit dem Wettbewerb in den Feldern zu konkurrieren, wo dieser einfach besser ist.
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